Wenn ich ein Buch zu Ende gelesen habe, dann dauert es immer eine Weile, bis ich ein Neues beginnen kann. Etwas in meinem Inneren hält an der gelesenen Geschichte fest, will sie noch nicht loslassen und hofft vielleicht auf Fortsetzung. Bücher sind eine wunderbare Erfindung – sie erlauben uns, unser eigenes Leben für einen Moment zu pausieren und die größten Abenteuer zu erleben. Aber auch über uns zu lernen, tolerant zu sein, unser Herz zu öffnen - auf für unsympathische Charaktere - und uns mit unseren Schattenseiten zu auseinanderzusetzen. Ich liebe Bücher und ich liebe es zu lesen. In den vergangenen Jahren haben sich jedoch unzählige Bücher in meinem physischen wie in meinem digitalen Bücherregal angesammelt, die ich wahrscheinlich niemals (zu Ende) lesen werde. Doch ihr Präsenz zieht an mir, unbewusst fühle ich ihren Sog, ihren Ruf, sie zu lesen. Aufgaben, Erwartungen. Nicht nur Bücher haben sich auf meinen inneren Regalen angesammelt. Auch andere Dinge, die erledigt werden wollen: dieser Kurs, jene Aktivität. Hier eine Aufgabe und da eine andere und dort sowieso noch mindestens fünf verschiedene auf der Agenda. Das Nicht-Loslassen-Können von einer Geschichte lässt sich wunderbar auf mein Leben übertragen.
Gerade habe ich Zeit - Zeit all das zu tun, was ich in der Vergangenheit tun wollte. Doch ich weiß nicht, wo ich beginnen soll. Welche angefangenen Projekte warten auf mich? Was muss beendet werden? Und war es wirklich nur der Zeitmangel, der mich in der Vergangenheit davon abgehalten hat, ein Projekt anzugehen, eine Idee zu verwirklichen? Es ist an der Zeit, ein bisschen aufzuräumen – die Bande der Vergangenheit zu lösen, mich von all diesen Projekten, Aktivitäten und Aufgaben zu lösen, die ich eigentlich beenden sollte. Von Erwartungen. Zu unterscheiden, welches Meine, welches Fremde sind. Welche bleiben dürfen und welche gehen sollen. Ich mache eine Bestandsaufnahme, sichte, was zu tun ist. Doch was ich da finde ist Unordnung, Chaos. Angefangene Anfänge, lose Enden, alles miteinander verwoben, verknotet. Wie soll ich dieses Chaos bewältigen, wenn ich doch nicht mal weiß, wo es herkommt, anfängt, was ich damit soll. Ich erwarte so viel von mir - Antworten, Lösungen, Verbesserung. Warum reagiere in Situationen so oder so? Warum habe ich mich in diesem Gespräch so verhalten? Warum ist mein Rücken so verspannt, warum juckt meine Haut heute wieder so sehr? Müsste es nicht längs viel besser sein? Tun, immer irgendwas tun, denn, wer bin ich sonst? Es ist nicht so einfach, eine neue Version von sich selbst zu werden. Wir können nicht einfach, wie bei einem Handy, das neueste Betriebssystem laden.
Veränderung, Transformation, Metamorphose benötigen Zeit und Geduld und Intention - jeden Tag aufs Neue. Ich wage mich an diesen Schritt. Lösche, was mir nicht mehr dient. Verwerfe Aufgaben und Projekte, die ich in der Vergangenheit mal attraktiv fand. Ich trenne diese unsichtbare Bande, die mich mal in die eine, mal in die andere Richtung ziehen möchten. Streife die Schwere der Erwartungen von mir ab und fühle mich viel leichter. Ich atme tief ein und lange aus, verharre in einem Moment der Stille. Ich sehe die Schönheit im gegenwärtigen Moment, im Außen, wie im Innen. Ich muss nicht immer tun. Ich darf auch einfach mal sein. Mein Wert ist nicht von meiner Produktivität abhängig oder von der Anzahl der erledigten Aufgaben am Ende eines Tages. Ich will mein Leben nicht mehr in diesem schnellen Rhythmus leben, den unsere Gesellschaft uns vorgibt. Geleitet von einem Metronom, das immer schneller ausschlägt und von dem niemand weiß, wer es eigentlich angestoßen hat. Für wen tun wir Dinge, wenn nicht für uns selbst?
Es ist an der Zeit für neue Projekte. Neuen Mut und frische Energie. Heute - nur heute - entscheide ich mich, es anders zu machen. Mir liebevoll zu begegnen, mein Herz zu öffnen und weich zu sein, verletzlich. Alle Emotionen und Gefühle zuzulassen - zu akzeptieren was ist. Um Hilfe zu bitten und zu spüren, dass ich nicht allein bin - dass ich verbunden und geliebt bin. Mich für die Liebe zu entscheiden. Nur heute.
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